Noch nie waren Kultur und Kommerz, Mainstream und Underground, soziale Bewegung und individueller Konsum so miteinander vernetzt wie 2020.
Brands haben sich immer schon an der Ästhetik der Pop-Kultur und auch des Undergrounds bedient, doch was passiert, wenn Aktivismus und Popkultur eins werden? Ästhetik lässt sich borgen, wie aber verhält es sich mit Werten?
Auf der einen Seite lässt sich vermutlich sagen, dass die Zeit keine Haltung zu haben vorbei ist, auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob jemand darauf gewartet hat, dass Sachen wie Pepsis Kendall Jenner Spot existieren.
"Uff"
Spoiler: die Antwort ist komplexer als “Nein”. Denn dieser und nachfolgende Spots mit weit weniger Cringe-Faktor sind die Symptome eines größeren kulturellen Shifts:
“Just as the aesthetics of the counterculture were available online and at the mall, so, too, had the values of the counterculture become mainstream. The core counterculture values of environmentalism, women’s rights, racial justice, and international peace were now simply accepted values.”
schreibt Douglas Rushkoff auf Medium
Und dieser Shift hat definitiv Implikationen für Kommunikation. Dass Content-Marketing von kultureller Relevanz lebt, ist klar. Dass Aktivismus und Pop-Culture Hand in Hand gehen, bzw. Aktivismus oft nichts anderes ist als eine aktive Konsumwahl zu treffen, ebenfalls. Genau hier schnappt die Purpose Trap zu, denn Purpose wird zum B(r)andwagon.
Wenn sich Purpose und Werte einer Brand mit den Werten der Audience decken, resultiert daraus ehrliche, glaubwürdige Kommunikation.
Was aber, wenn Werte und Purpose einer Brand bloß kommunikativ geborgt sind, Opportunismus der eigentlich dominante “Wert” ist? Dann verlieren sich Brands im Sog von Low-Cost/High-Noise Nebelgranaten - bloß nichts tun, das echte Reform bedeutet, sondern reine Kosmetik mit ein paar Bauernopfern am Cultural Relevance Altar.
Bei Spieleentwickler Bethesda lieber Pride nur in den Märkten, wo es keine Umsätze kostet.
“Brands will tend to embrace the principles of social justice activism only as far as needed to ensure the survival of the business itself. In fact, let’s go further: those with power inside institutions love splashy progressive gestures because they help preserve their power within the institution. They are not being asked to give up anything themselves.”
- Helen Lewis, The Bluestocking
Wenn sich McDonald's als “woke” (woke in Anführungszeichen, weil das nichts mit OG Wokeness zu tun hat) Unternehmen positioniert, das Black Voices pushed - gute Sache, oder? Natürlich, allerdings mit dem Haken, dass die Fast Food Industrie ein weitaus komplexeres Verhältnis zu Black America hat. Billiges Fast Food und chronische Gesundheitsprobleme bilden eine unheilige Allianz in den Black Neighbourhoods Amerikas. Und Marketing ist ein Teil dieses Problems.
Die Werbung von Fast Food Ketten richtet sich überproportional an Minderheiten in den USA.
Ganz abgesehen davon, dass McDonald's immer wieder erfolgreich verhindert, dass seine Mitarbeiter*innen Gewerkschaften bilden können oder wenigstens adäquate COVID-19 Schutzausrüstung bekommen.
Was bleibt ist eine performative Social Kampagne mit schalem Nachgeschmack.
BP wurde per Rebrand zu Beyond Petrol, auch wenn Deepwater Horizon noch immer leckt und die Low-Wage Aufräum-Arbeiter*innen an den Spätfolgen des Cleanups erkranken.
Der Rebrand wurde von den Konsument*innen nicht goutiert.
Klar ist, dass das unreflektierte Mitziehen bei Kommunikations-Trends (beinahe schon ein Credo der Werbung in diesem Millenium) in Zeiten von Woke Capitalism definitiv ausgedient hat.
"When a very specific social cause is used by a marketer to make headlines, it can seem quite desperate." - John Matejczyk, co-founder and chief creative officer at agency M/H VCCP
Denn das schadet langfristig allen. Den Werten, die so zunehmend verwässert und missbraucht werden. Den Brands, die auf Werte setzen, ohne bereit zu sein wirklich für etwas zu stehen. Und letztendlich auch den Unternehmen, die es ernst meinen.
Die Kommodifizierung von Social Causes um Schlagzeilen zu generieren, wird das Vertrauen in Werbung noch weiter erodieren. Wie sogar Unilever CEO Alan Jope erkennt.
Die von Unilever gekaufte Brand Ben & Jerry's verkaufte 2018 ein Anti-Trump Eis.
Was also tun? Nachdenken. Umdenken. Umlenken. Das Unternehmen ihre gesellschaftliche Rolle neu definieren müssen, ist nun definitiv auch auf dem C-Level angekommen. Doch um in der Flut an Purpose Messaging glaubwürdig kommunizieren zu können, ist es umso wichtiger, eine klare Mission zu haben.
Mission informed Brand: Patagonia
Das beste Beispiel dafür? Patagonia - dessen Kommunikationsstrategie nicht Kampagnen-Denke sondern Brand DNA und Mission Statement ist: “Build the best product, cause no unnecessary harm, use business to inspire and implement solutions to the environmental crisis.” Für die Kommunikation bedeutet das im Umkehrschluss:
For us, it’s more important to get the environmental story out than Patagonia the brand. Before all, we emphasize storytelling and spotlight the environmental causes we care about. - Corley Kenna, Director of Global Communications, Patagonia
Wer sich also als Brand zu einer sozialen Frage äußern will, muss auf einiges gefasst sein - vor allem aber auch wirklich dafür einzustehen oder mindestens in Selbstreflexion damit zu gehen. Wer das nicht tut, hält die eigene Audience für dumm.
Denn langfristig wird das aktionistische Generieren von Headlines nicht aufgehen, wie der Economist prophezeit. Polarisierung ist nicht immer gut fürs Geschäft - wie Pepsi mit ihrem Tone Deaf Protest Ad, Starbucks oder auch US-Retailer Target rausfinden mussten.
Für Patagonia ist die Mission klar, auch bei Ben & Jerry's (und seit dem Verkauf im Jahr 2000 dadurch auch ein klein wenig bei Unilever) fragt man sich nicht, wen man mit klaren Ansagen vergrault. Nike hatte wenig Probleme damit, dass wütende “Patriot*innen” ihre Sneaker verbrennen, und bleibt dabei vage genug sich eigentlich nicht eindeutig zu positionieren.
Unter dem #dumpnike verbrannten wütendene Fans ihre Sneaker
Langfristig aber gilt es realistische Visionen zu entwickeln, wohin die Reise gehen kann: Wie manifestieren sich die eigenen Werte IRL, und nicht bloß im Markendreieck? Und sind sie mit den eigenen Praktiken überhaupt vereinbar?
Konnte man sich in den frühen 00er und 10er Jahren “Authentizität” und “Relevanz” noch aus den (pop)kulturellen Subkulturen borgen, ist nun das Zeitalter angebrochen, diese Versprechen mit eben eigenen Werten glaubhaft zu machen. Scary shit, allerdings auch die Chance auf eine massive Upside für Marken (und die Quintessenz von Branding): Orientierung und Identifikation in einer verrückten Welt.
“Who the fuck are you? I’m a brat when I’m bumpin’ that”
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