Das Jahr hat so gut begonnen. Top Prognosen, eine Fußball EM in 12 Ländern und Olympische Spiele in Japan - Anfang 2020 blickt der Tourismus, eine Erfolgsgeschichte der Globalisierung, sonnigen Zeiten entgegen. Die Zahlen stimmen, und es scheint als erkennen die Gäste eine neue Art zu Reisen als Antidote zum schnellen, digitalen Lifestyle und Massenkonsum: Community & Resonanz.
“Live like a local” ist, spätestens seit AirBnB “Don’t Go There.
Live There.” propagiert, die einzig wahre Art zu reisen.
Und doch, eingeholt wurde man vom absoluten Gegenteil des Fremdenverkehrs: radikalem Stillstand. CORONA. Willkommen in Ischgl, einer beängstigenden IRL Episode der Piefke Saga - Destinationsmarketing, das man sich wohl lieber gespart hätte.
Crisis Mode
Innerhalb von wenigen Tagen wurde dem Tourismus die ihm zugrunde liegende Voraussetzung - der freie Personenverkehr - entzogen: 100% der Länder hatten im Monat Mai Travel Restrictions.
©via Kayak
Disruption in einer Branche, die von "heiler Welt" lebt. Apropos, sogar Airbnb, der Disruptor der Branche, wird selbst massiv durchgeschüttelt, kündigt 25% seiner Mitarbeiter*innen – das sind nahezu 1.900 Mitarbeiter*innen – und greift an die 3 Milliarden an neuen Investitionen und Krediten ab, um den Kopf über Wasser zu halten.
Wir sind mit einem Schlag zurück bei Stunde Null: Wie soll und wie kann Tourismus in einer Post-Corona Welt aussehen. Der Grundtenor ist unmissverständlich: Things have to change. Alles ist on hold und rekalibriert sich. Eine ganze Branche begibt sich auf die Suche nach neuen Lösungen - strukturell, aber auch in der Kommunikation. Das digitale Urlaubserlebnis gewinnt immer mehr an Bedeutung, jedoch nicht als Ersatz, sondern als nahtlos integrierte Extension der Experience.
Flexibilität meets Purpose
Das Business-Gebot der Stunde - “Pivoting” - macht auch vor Marketing nicht halt. Visit Finland reagiert umgehend, adaptiert seine Rent a Finn Quasi-Concierge Kampagne zu einem virtuellen Happiness-Ratgeber für Krisenzeiten - um auch während der Krise sinnstiftend zu kommunizieren.
Ob “Rent a Finn goes virtual” der Happiness Guide ist, um uns durch die Krise zu führen?
Auch Airbnb wäre nicht Airbnb wenn man nicht auch bei virtuellen Experiences ein gewichtiges Wörtchen mitreden würde. Airbnb konkurriert während der Corona Krise nicht mit den Marriotts oder Hiltons dieser Welt, sondern mit Netflix und YouTube.
Digitaler Vorgeschmack
Generation Insta hat den Insta-Moment zwar zur ultimativen Currency des perfekten Urlaubs erhoben, begibt sich aber in Zeiten von eingeschränkter Freiheit auf der Suche nach neuen Reizen und Erlebnissen vornehmlich in die digitale Welt: “Why spoil the experience with a watered-down version of the real thing?” - eine berechtigte Frage, aber der Durst nach Inspiration und Eskapismus nimmt während und nach Corona nicht ab. Im Gegenteil, er wird durch die Isolation daheim geradezu verstärkt - wenn nicht physisch, dann virtuell: Roadtrips auf Google Maps, und Lockdown-NYC-skatende Avatare sind nur ein Auszug des improvisierten Contents, der uns das virtuelle Reisen in den letzten Wochen ermöglicht hat.
(Social) Distancing als Default
Distanz wird auch im Tourismus eine größere Rolle spielen, und es wird die Aufgabe von Kommunikation und digitalen Anwendungen sein, diese Distanz zu ermöglichen – oder aber zu überwinden. In den Hotels hat das Buffet vorerst ausgedient und auch die Koffer trägt man lieber selbst. Persönliche Interaktionen werden auf ein Minimum beschränkt, und was vor wenigen Jahren noch als Hospitality Innovation gefeiert wurde ist heute Notwendigkeit. Eine Consumer Journey, die bei einer Social Ad beginnt und mit einer Roomservice Bestellung endet, digitally-driven und mit Daten unterfüttert? Ein Traum für jede*n Experience Designer.
Nature is healing
Doch was ist stärker - die Sehnsucht nach Reisen, oder die Angst vor der Bedrohung? In der Theorie Letzteres, in der Realität wohl nicht: die Menschen stürmen die Parks und Strände als wäre nichts gewesen.
Die Frage ist also viel weniger ob oder wann es wieder Tourismus geben wird, sondern wie, und für wen. Die Zukunft der Fernreise mag im Moment noch ungewiss sein, aber die Destinationen öffnen sich langsam für die Gäste unmittelbar vor der Haustür. So setzt man beispielsweise in Hallstadt auf “Qualität statt Masse” und "die meisten Gastronomen sind bereits dabei, die Speisekarten für den österreichischen Gast umzugestalten”.
Was bleibt sind die abgedroschenen Phrasen und tatsächlichen Möglichkeiten der Krise als Chance: eine Rückkehr zur Romantik des Reisens, aber eben auch die Notwendigkeit zur langfristigen Veränderung – und die ist kaum wo so greifbar wie in der Hochburg der touristischen Monokultur: Venedig.
Die Strahlkraft von starken Marken und Destinationen wird weiterhin ein Schlüssel zum Erfolg sein. Doch über Orientierung und Positionierung hinaus muss die Marke für eine neue Generation an Gästen einer sinnstiftenden Idee, dem Purpose, folgen.
© Lois Hechenblaikner via Der Standard
Die Tourismuswerbung ist daher im Begriff, ihren Ansatz zu Kommunikations- und Produktionszyklen zu überdenken. Sonnige Perfektion (mit entsprechenden Produktionsvorlaufzeiten) müssen sich in Zukunft mit einer gewissen Realness und Flexibilität die Waage halten, die Unmittelbarkeit der neuen Medien macht auch vorm perfekten Image der Urlaubsdestinationen nicht halt. Authentizität wird nicht nur großgeschrieben, sondern auch jeden Moment überprüft und eingefordert.
Was auf den ersten Moment wie die nächste unvereinbare Hürde anmutet, birgt in Wirklichkeit eine unerwartete Chance für die Touristiker*innen, die Teil der Veränderung sein wollen. Eine Post-Corona-Welt, die die Marketing-gestützte Urlaubsutopie des “live like a local” eine echte Realität werden lässt - inklusive nachhaltigem Mehrwert für Gäste, Gastgeber*innen, und die tatsächlichen, viel zitierten Locals.