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Reading List 37 – Brat Summer is dead?

Lang lebe der Brat Summer!

“Who the fuck are you? I’m a brat when I’m bumpin’ that”: Mit dieser Line über Kokain-Konsum und ihrem Album “Brat” hat Charli xcx uns nicht nur den besten Pop seit Langem geschenkt, sondern uns einfach so nebenbei auch noch das Meme des Jahres, einen Plottwist im US-Wahlkampf und eine Lehrstunde über peinliche Meme-Versuche beschert.

“Brat” wurde innerhalb kürzester Zeit vom Albumtitel zum Lifestyle: Die Antithese zum Clean-Girl-Leben, zum Leistungsdruck. Brat Girls ist es egal, ob ihr Eyeliner verschmiert ist, sie rauchen, sie wissen, dass die Freuden im Leben meistens nichts mit dem Streben nach Perfektion zu tun haben. Genau deshalb ist “Brat” als Album, als Meme und als Lebenseinstellung auf so fruchtbaren Boden gefallen: Weil wir alle genau diesen Vibe in unserem Leben brauchen.

@londonwildlifetrust Its a rat summer 💚🐀 @Charli XCX #365 #brat #bratsummer #charlixcx #360 ♬ original sound - 📓

Also wurde direkt der “Brat Summer” ausgerufen. Und wie das eben so ist mit Internet-Trends, sind auch diejenigen aufgesprungen, die sich selbst vielleicht nicht als Charli-xcx-Fans der ersten Stunde oder Popkultur-Expert:innen bezeichnen würden: Brands, Politiker:innen, LinkedIn-User:innen.

Das vermeintliche Cringe-Fest, das sich in nicht ganz treffsicheren Memes und Referenzen manifestierte, machte viele der ursprünglichen “Brat”-Fans kurzerhand zu Kulturpessimist:innen, die sich nicht darüber freuen konnten, dass ihre Popkultur-Nische plötzlich im US-TV diskutiert wird und unwissende, mittelalte Redakteure (ungegendert) im Feuilleton darüber schreiben. 

Die Tatsache, dass “Brat” jetzt von Marken und Parteien vermeintlich vereinnahmt wurde, ist für viele der Beweis dafür, dass unsere Welt wieder mal ein harmloses Popkultur-Phänomen ruiniert hat, das doch eigentlich nur dafür da war, uns für einen Sommer lang glücklich sein zu lassen. Aber all jene, die beleidigt sind, weil “Brat” kommerzialisiert wird, vergessen wohl, dass es sich dabei ohnehin um ein Album handelt, um ein Produkt, das einfach nur sehr gut promotet wurde und den Zeitgeist trifft.

“Brat Summer is dead – but who killed it?

Unter dieser Headline versucht das Popculture-Magazin “Dazed” nachzuzeichnen, wer ihn denn nun ruiniert hat, den Brat Summer. War es Kamala? Waren es die Internet-Girls und -Gays, die das Meme totgeritten haben? Oder Brands, die wieder einmal Wochen zu spät auf einen Trend aufgesprungen sind?

Es gibt gute Neuigkeiten: Denn entgegen der gängigen Edgelord-Meinung ist der Brat Summer nicht tot. Er ist alive and well.

Mindestens genauso wie Popkultur-Konsument:innen etwas Neues gebraucht haben, hatten auch die US-Demokraten diesen gewissen “Brat”-Spirit dringend nötig. Nachdem bekanntgegeben wurde, dass Joe Biden nicht mehr für eine zweite Amtszeit antritt und stattdessen Kamala Harris ins Rennen gehen würde, wusste das Internet, was es zu tun hatte. 

Kamala Harris ist schon lange eine beliebte Meme-Steilvorlage, ihr Lachen, ihre manchmal zerzauste Art, ihre für Politiker:innen untypische Lockerheit, ihre perfekt memebaren One Liner (“Mr. Vice President, I’m speaking, K?”):

TikTok liebt Kamala ohnehin schon. Auf TikTok gingen daraufhin Edits von einer Rede aus 2023 viral, in der Kamala Harris über ihre Mutter redet, die ihr einst erklärt haben soll, dass sie als junge Person im Kontext unserer Gesellschaft existiert. “You think you just fell out of a coconut tree? You exist in the context of all in which you live and what came before you”, ist Harris in diesen Edits zu hören, unterlegt mit “Apple”, “Von dutch” oder “360” von Charli xcx.

In Kombination mit dem omnipräsenten “Brat”-Hype hat sich dadurch ein seltenes Schauspiel ergeben: Den Demokraten wurde der perfekte Trend zur perfekten Zeit präsentiert. Und genau das brauchen sie nach Bidens absurden letzten Auftritten und im Kampf gegen Trump und seine MAGA-Meme-Lords.

Sie mussten nicht verzweifelt nach einem Meme suchen, auf das sie aufspringen können, und den Fit erzwingen. Denn Charli xcx hatte schon Recht, als sie getwittert hat: “kamala IS brat”. Das Team von Harris hat das Meme aufgegriffen, auf X und TikTok Content geliefert, den zwar vielleicht nur eine extrem Meme- und Popkultur-affine Bubble versteht, denn immerhin musste auf Fox News erklärt werden, was “Brat” bedeutet, der die US-Wahlen aber für viele zurück in ihre kulturelle Wahrnehmung bringt. Aber nur weil “Brat” für Kamala funktioniert, heißt das nicht, dass jede:r die “Brat”-Welle so smooth reiten kann wie sie und ihr Team.

@kyle_maclachlan

the girl, so confusing remix and it’s the same but i made a music video to it so it’s not

♬ original sound - Kyle MacLachlan

Durch diesen Meme-Fit fühlten sich leider auch einige andere Parteien und Brands motiviert, auf den “Brat”-Hype aufzuspringen. “Renaturierung is brat” posteten zum Beispiel die Grünen und ernteten damit Unverständnis von denen, die keine Ahnung haben, was “Brat” ist, und Häme von denen, die es wissen. Sie sind einem Trugschluss auf den Leim gegangen: Das Meme funktioniert nicht einfach dadurch, dass man etwas Beliebiges als “Brat” bezeichnet. “Mein Kugelschreiber is brat”? Nein. Nur Dinge oder Menschen, die wirklich “Brat” sind, können als “Brat” bezeichnet werden, nur dann geht das Meme auf. Deswegen funktioniert es bei Kamala Harris: Sie ist frech, sie ist “Brat”. 

Ja, nicht jeder “Brat”-Versuch ist gelungen. Aber ist es nicht die langweiligste aller Argumentationen, sich darüber zu beschweren, dass etwas, das man natürlich schon viel früher als alle anderen kannte, jetzt im Mainstream angekommen ist, und ein gutes Popkultur-Phänomen deshalb direkt für tot zu erklären?


Man kann es nämlich auch so sehen: Es kommt nicht besonders oft vor, dass ein disruptives, angesichts der Pop-Dominanz von Taylor Swift edgy Bubble-Phänomen wie ein neues Charli-Album diese Art der Aufmerksamkeit und derart große Relevanz zugeschrieben bekommt. “Brat” ist überall und das ist auch gut so.

Oder um es ein bisschen radikaler zu formulieren. “Girls, gays & theys, we won the culture war for once”, schrieb kürzlich eine X-Userin. Und das ist eigentlich ziemlich “Brat”. 

Shoutout: Da wir nicht genau wissen wie brat papabogner wirklich ist, haben wir uns für diese readinglist Unterstützung von certified brat Verena Bogner geholt. Danke, du brat!

Julian Derkits

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