Wer unsere Reading List regelmäßig anschaut oder den israelischen Historiker Yuval Noah Harari liest, weiß: Nichts bleibt, wie es ist, alles ändert sich ständig. Das war schon immer und bleibt weiterhin die einzige Konstante in unserer Geschichte.
Was jetzt neu ist: Mit Corona taucht ein Katalysator auf und beschleunigt diese Veränderung, die durch die Digitalisierung ohnehin schon überfordernd war. Die Zukunft kommt jetzt noch schneller.
Also wenn wir heute erste Gedanken zur Corona-Krise ausschicken, dann ist morgen ziemlich sicher alles schon wieder ganz anders. Wie im Live-Ticker, das Nr. 1 Tool einer überladenen Medienlandschaft. Auch dort wird COVID-19 den Spalt zwischen relevanten Medien, die damit auch Geld verdienen, und den abgehängten noch einmal größer machen. Genau wie die Wiederauferstehung von Facebook nur ein Mini-Beispiel für das Quarantine UX, das gerade unser Leben beherrscht.
Die ursprüngliche Idee war es, ganz selbstreferentiell die besten und originellsten Kommunikationsmaßnahmen rund um Corona zusammenzustellen. Aber wie einfallsreich und vor allem relevant ist es wirklich, das eigene Logo passend zum Hashtag #flattenthecurve oder #socialdistancing umzuformen?
Diese Sammlung hätte nur eins gezeigt, dass im 21. Jahrhundert NIE nicht kommuniziert wird. Spannend ist in dem Fall hauptsächlich, wie flexibel und agil Marketing-Abteilungen und die dazugehörigen Agenturen wirklich aufgestellt sind: Braucht es Stunden, Tage, Wochen oder sogar Monate Vorlaufzeit, um zu reagieren? Wie mit der Corona-Krise in Sachen Kommunikation umgegangen wird, zeigt vor allem, wie fit die jeweiligen Brands und ihre Agenturen sind.
Wichtiger und leider viel komplizierter ist die Frage nach den Folgen der Krise. Bei den Details, also den Blick auf unseren Teller, haben sich zwei Player hervorgetan. Loop hat bereits am 18. März eine ausführliche Präsentation zu Trends und Veränderungen online gestellt, die viele richtige und relevante Punkte beinhaltet.
McKinsey und JvM haben in einem gemeinsamen Whitepaper nachgelegt, das — abgesehen in Berichterstattung darüber — so aber noch nicht verfügbar sein dürfte. Zumindest wird es nirgends verlinkt.
Unsere Idee von Freiheit.
Während in Österreich ein über diverse Medien ausgetragener Kampf zwischen Wien und der Bundesregierung ausgebrochen ist, wer die Krise wie gut managed und welche Maßnahmen tatsächlich notwendig sind, wird genau diese Frage international auf einem ganz anderen Niveau diskutiert.
Yuval Noah Harari bricht es auf eine ganz banale Frage herunter: Was bleibt auf der Strecke, wenn wir uns zwischen Gesundheit und Privacy entscheiden müssen? Dass diese Entscheidung nicht abwegig ist, zeigt auch die Verwendung von Bewegungsdaten, die weltweit ein Thema ist.
The world after coronavirus
Yuval Noah Harari in der Financial Times
This storm will pass. But the choices we make now could change our lives for years to come.
Und solange es kein Heilmittel gibt, werden die Regierungen weltweit gut zwischen Gesundheit, Wirtschaft und persönliche Freiheit abwägen müssen. Mit der Gefahr, dass sich nach dem Corona-Präzedenzfall auch andere gute Gründe finden werden, die „drastische Maßnahmen“ verlangen.
Die Vormachtstellung von China.
Dort ist eine lückenlose Überwachung schon längst Teil des Alltags – und durch Corona noch einmal verschärft: Mit der Ubahn kann nur fahren, wer gesund ist und die Verbreitung des Viruses lässt sich durch Bewegungsprofile ganz genau nachvollziehen und — wir müssen es zugegeben — so wohl auch ganz gut eindämmen.
德国电视二台报道他们的一个中国武汉籍摄影师失联。现在中共的暴行慢慢成为世界主流媒体的关注焦点。 https://t.co/nkL5U1hjEV
— 傅志彬Fu Zhibin (@Eurasch) March 29, 2020
Wer nachlesen möchte, warum die Dominanz westlicher Werte wie Freiheit nur eine Anomalie der Geschichte ist, kann das bei Professor Kishore Mahbubani gut tun.
Die große Gefahr ist, dass sich bedingt durch eine schwere Krise in den USA gewisse Prozesse noch einmal beschleunigen und uns die Alternativen zu Tencent, Alibaba oder Huawei bald abhanden kommen könnten. Das ist natürlich alles Worst Case, aber schon die Krise von 2008 hat zu einer massiven Einflussvergrößerung von China geführt. Egal ob griechische Häfen, ganze afrikanische Staaten oder deutsche Autobauer. Wenn wir auf fremdes Geld angewiesen sind … China wird es gerne geben.
Die Schreckensszenarien sind wie die Utopien eher unserer Lust am Gruseln oder Träumen geschuldet. Höchstwahrscheinlich gibt es keinen Bruch, sondern wie bisher schon eine permanente Bewegung. Aber Corona wird sich als eine Art Katalysator herausstellen, der gewisse Entwicklungen wie die globale Digitalisierung nur beschleunigt: Das werden wir auch in Österreich spüren, betrifft unseren Umgang mit Bargeld genauso wie die Art zu arbeiten oder unser Schulsystem.
@topramenj how did urs go? ##fyp ##foryou ##xycba ##SonicSpeedMeUp ##lifeathome ##PlayWithLife ##greenscreen ##onlineschool ##coronavirus
♬ original sound - mackensiermintz
TikTok hilft der Gen Z nicht nur den neuen Alltag zu bewältigen, sondern ist auch Heimat gleich mehrerer Trends rund um #shelterathome und Coronavirus. Mehr zu TikTok gibt's in unserer letzten Reading List.
Das heißt nicht, dass die beiden oben erwähnten Entwicklungen nicht genauso eintreten: Die digitale Überwachung wird weiter zunehmen, egal ob vom Staat, großen Tech-Konzernen oder beiden vorangetrieben. Wir tragen unseren Teil dazu bei, indem wir den letzten Rest Privatheit weiterhin so bereitwillig hergeben, weil wir im Gegenzug ein komfortableres Leben bekommen. Und auch China wird seine Vormachtstellung weiter ausbauen.
Und wieder zurück zur Werbung
Denn abgesehen davon, dass Kommunikation und Kommunikationskanäle einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Bekämpfung von Corona leisten, bleibt im Vergleich zu den systemrelevanten Jobs bei der Werbung nicht wirklich viel übrig. Wir, das wird in den letzten Wochen noch einmal deutlich, machen oft Bullshit-Jobs und gerade das HomeOffice zeigt, viele Schleifen und Arbeitsabläufe sind unnötig.
The Bullshit-Job Boom
Ein Artikel zum Buch "Bullshit Jobs" von David Graeber im New Yorker
For more and more people, work appears to serve no purpose.
Das ist an sich nicht tragisch, solange man es nicht in Relation zu anderen Jobs setzt, die wesentlich weniger angesehen und damit auch viel schlechter bezahlt sind. Drängende Fragen der Verteilungsgerechtigkeit tauchen auf — und werden vielleicht genauso wieder vergessen werden.
Oder sich auf kluge Kommentare wie den von Fahim Amir im Profil beschränken:
"Und wenn gerade Leute, die gar keine Ahnung haben, wie sich das Leben einer Kassenkraft abspielt, von wieviel sie leben muss etc., nun an vorderster Front applaudieren, applaudieren sie in Wirklichkeit sich selbst. Solidarität ist nicht gleich Charity. Solidarität ist riskant und vollzieht sich unter perspektivisch Gleichen. Der wohlfeile Applaus erinnert hingegen an die Landgräfin, die ihren Kutscher lobt. Der viral biedermeierliche Hashtag #staythefuckhome passt denn auch ideal zu autoritärer Ordnungspolitik und nationalistischer Abschottung. Ich schlage #stayresponsible als vernünftigere Alternative vor."
Nur, was für die Werbung gilt, gilt noch einmal verstärkt für Brands, die sich genauso die Sinnesfrage stellen müssen.
Was das konkret für die Zukunft von papabogner bedeutet, müssen wir in den nächsten Wochen und Monaten für uns selbst herausfinden. Nicht als USP oder Vorteil im Markt, sondern um unserem Tun einen Sinn zu geben.